Nicht die Geldmenge treibt die Güterpreise in der Eurozone, sondern eine Vielzahl von Angebotsschocks. Letztere sind das Ergebnis einer selbstzerstörerischen Coronapolitik.
Fällt hierzulande der Begriff »Inflation«, glaubt nahezu jeder, sich zu deren Ursache äußern zu können. Beim Thema Inflation ist plötzlich jeder Experte. Vor allem Leute, die nie in ihrem Leben Ökonomie studiert haben oder sich zumindest hauptberuflich mit inflationären Märkten beschäftigen mussten, preschen gerne und schnell mit den farbigsten Erklärungen vor. Vollmundig errichten sie gewaltige Satzgebirge, auf deren Gipfeln tönende Fremdworte prangen und deren Täler beinahe allesamt in das Wort »Geldmenge« münden. Inflation und Geldmenge sind das Amalgam, das sich in die Köpfe der selbsternannten Experten gefressen hat und dort wie ein Geschwür vor sich hin wuchert und aus deren Gehirnen es nur noch im Wege eines operativen Eingriffes entfernt werden kann. Der vorliegende Beitrag nimmt für sich in Anspruch, ein solcher Eingriff zu sein, und—das sei in aller Deutlichkeit gesagt—, er wird ohne Betäubung durchgeführt. Jeder Leser bzw. Hörer, der bis zum Ende durchhält, wird sich folglich als geheilt betrachten dürfen, denn er wird am Ende verstanden haben, dass die gegenwärtige Inflation in der Eurozone nichts, absolut gar nichts mit der in Umlauf befindlichen Geldmenge zu tun hat und dass eine restriktive Zinspolitik seitens der Notenbank (EZB) das Inflationsproblem nicht beseitigen wird, weder in Deutschland, noch in einem anderen Land, das dem Europäischen Währungsraum angehört.
Inflation ist nicht gleichbedeutend mit Hyperinflation!
Inflation, das bedeutet Teuerung, also Preissteigerung. Das Gegenteil davon nennen wir Deflation; um Deflation soll es in diesem Beitrag nicht gehen. Wenn die Güterpreise in einem bestimmten Markt steigen, kann das verschieden Gründe haben. So etwas wie einen einzigen, alles erklärenden Inflationsgrund gibt es also gar nicht. Diese Erkenntnis ist wichtig und ihre Bedeutung kann an dieser Stelle nicht genug betont werden. Erschwerend kommt hinzu, dass eine Inflation in unterschiedlichen Intensitätsgraden, sprich mit verschiedenen Geschwindigkeiten oder auch Wachstumsraten auftreten kann und dass sich jede Inflationsgeschwindigkeit ihrerseits wiederum auf verschiedene Ursachen zurückführen lässt. Steigen die Güterpreise bspw. eher schwach, so, dass man kaum etwas davon mitbekommt, spricht man von einer »Schleichenden Inflation«. Eine mittlere Teuerung, also eine solche, die zwar schon sichtbar ist, aber noch keine echte Gefahr für die Stabilität der Volkswirtschaft darstellt, nennt man »Trabende Inflation«. Wächst die Preissteigerung allmählich in den zweistelligen Bereich hinein, spricht man von einer »Galoppierenden Inflation«. Und die letzte Stufe, die wirklich allerletzte, die, bei der eigentlich schon alles zu spät ist, heißt »Hyperinflation«. Aus unerfindlichen Gründen denken die meisten Menschen ganz automatisch an diese Teuerung, die man überspitzt auch als »Mutter aller Inflationen« bezeichnen könnte, wenn sie mit dem Wort Inflation konfrontiert werden. Die drei übrigen Inflationsarten dagegen fristen bis heute ein eher unbekanntes Dasein. Um diesem Missverständnis ein für allemal den Garaus zu machen, sei an dieser Stelle noch einmal betont, dass eine Inflation an sich mitnichten gleichbedeutend ist mit einer Hyperinflation. Bei der Hyperinflation handelt es sich vielmehr um ein Phänomen ganz eigener Art, dessen Mechanismen sich signifikant unterscheiden von einer schleichenden oder einer trabenden oder einer galoppierenden Inflation.
Beabsichtigt man Inflationsraten zu messen, kommt es außerdem darauf an, welche Märkte man analysiert. Auf Rohstoffmärkten zum Beispiel fallen Preissteigerungen regelmäßig stärker aus, als auf Konsumgütermärkten. Der Grund hierfür ist einfach, nicht jede Teuerung beim Rohstoffeinkauf lässt sich komplett auf die Konsumgüterpreise vorwälzen. Die Zahlungsbereitschaft der Konsumenten folgt grundsätzlich einer eigenen Gesetzmäßigkeit, die es hier nicht zu erörtern gilt, und ist im Übrigen durch das verfügbare Einkommen eines jeden Konsumenten individuell limitiert. Gibt ein Produzent seine gestiegenen Kosten über seine Verkaufspreise komplett an den Konsumenten weiter, riskiert er, dass ein Teil der Konsumenten, im schlimmsten Falle sogar alle Konsumenten, ihren Konsum entweder komplett einstellen oder aber das Konsumgut gegen ein anderes, preiswerteres Gut mit vergleichbarem Nutzen, aber eben aus der Produktion eines anderen Herstellers substituieren. Die Inflationsraten in der oben abgebildeten Infografik wurden ausnahmslos auf Konsumgütermärkten erhoben, es handelt sich also durchweg um die Preissteigerungsraten von Konsumgütern, also Gütern, die für die letztmalige Verwendung bestimmt sind.
In Deutschland liegt die Inflationsrate derzeit bei 8,5% (Stand: Juli 2022). Die Deutsche Bundesbank hält es durchaus für möglich, dass dieser Wert noch im Herbst auf 10% klettert (siehe hier). Wie die Infografik zeigt, liegt Deutschland damit gegenwärtig auf Platz 5 in der Eurozone. Am niedrigsten ist die Inflation aktuell in Frankreich (6,8%) und am höchsten in Estland (23,2%). Fragen wir uns also nun: »Warum steigen die Konsumgüterpreise in Deutschland und in anderen Ländern der Eurozone?« Die Antwort darauf lautet: Weil die Preise auf den globalen Rohstoffmärkten steigen. Rohstoffe, aus denen schlussendlich Konsumgüter produziert werden, müssen von den Produzenten nun teurer eingekauft werden. Diese Teuerung wälzen die Produzenten über ihre Verkaufspreise auf die Konsumenten vor. Das Gleiche gilt übrigens für Halb- und Zwischenfabrikate, also für Güter, die ebenfalls in der Produktion weiterverarbeitet werden und irgendwann als Bauteil in ein Konsumgut eingehen. Freilich befriedigt diese Antwort nur bedingt, denn nun stellt sich logischerweise die Frage: »Warum steigen derzeit die Preise auf den Rohstoffmärkten?« Und die Antwort hierauf lautet: Weil es insbesondere in den letzten beiden Jahren, also 2020 und 2021, weltweit zu sog. »Angebotsschocks« gekommen ist. Als Angebotsschock bezeichnet man in der Ökonomie plötzlich und unerwartet auftretende Friktionen bis hin zu ganzen Unterbrechungen auf der Angebotsseite. Diese Angebotsschocks sind in nahezu allen Märkten und in nahezu allen Volkswirtschaften, also im wahrsten Sinne des Wortes global aufgetreten. Wenn wir die gegenwärtige Inflation verstehen wollen, müssen wir die Ursache der weltweiten Angebotsschocks identifizieren und analysieren und das ist recht einfach, denn in diesen beiden Jahren gab es nur ein einziges politisches Instrument, das global zum Einsatz kam, und zwar der Lockdown. Beinahe alle Volkswirtschaften weltweit haben mit ihrer Lockdown-Politik das verarbeitende Gewerbe zum Erliegen gebracht. China bspw. hatte ganze Häfen geschlossen, mit der Folge, dass Fracht- und Containerschiffe nicht mehr gelöscht werden konnten. Infolge der chinesischen Lockdown-Politik wurden die dortigen Lieferketten unterbrochen und im Rest der Welt warteten Unternehmen vergeblich auf ihre Rohstoffe, Halb- und Zwischenfabrikate aus China. China sei hier aber nur beispielhaft genannt. Dasselbe geschah unter anderem auch in den USA, in Canada, in Australien, in Europa usw.
Die in Umlauf befindliche Geldmenge hat mit der gegenwärtigen Teuerung nicht das Geringste zu tun.
Halten wir also fest, Ursache der Angebotsschocks waren ganz eindeutig die Lieferkettenunterbrechungen als Ergebnis der Lockdown-Politik der jeweils einzelnen Länder. Die produzierte Gütermenge auf der Angebotsseite brach daraufhin ein, in manchen Volkswirtschaften stärker, in machen Volkswirtschaften weniger stark. Auf der Nachfrageseite indes änderte sich kaum etwas, die Nachfrage nach Gütern war weitestgehend stabil geblieben. Frage: Wie verhalten sich Preise, wenn das Angebot infolge staatlicher Interventionen verknappt wird und die Nachfrage nahezu gleich bleibt? Ganz recht, die Preise steigen. Exakt diesen Effekt beobachten wir gerade weltweit, also auch in der Eurozone. Fassen wir also zusammen: Die gegenwärtige Inflation auf den Konsumgütermärkten in Deutschland, im Rest der Eurozone und überall in der Welt, ist das unmittelbare Ergebnis von weltweiten Angebotsschocks, ausgelöst durch die Lockdown-Politik in den Jahren 2020 und 2021. Die in Umlauf befindliche Geldmenge hat mit der gegenwärtigen Teuerung also nichts, absolut gar nichts zu tun. Dieses Phänomen, das wir hier analysiert haben, ist sogar vor vielen, vielen Jahren schon in die ökonomische Literatur eingegangen und mit einem eigenen Namen bedacht worden. Man bezeichnet es als »Stagflation«. Dieses Kofferwort, zusammengesetzt ist es aus den Worten »Stagnation« und »Inflation«, will zum Ausdruck bringen, dass das Wirtschaftswachstum infolge von Angebotsschocks stagniert und dass gleichzeitig die Preise steigen, weil die Nachfrage (weitestgehend) gleich geblieben ist. Die Geldmenge spielt hierbei keine Rolle.
Gehen wir nun noch einen Schritt weiter und fragen uns, ob eine Notenbank, vorliegend also die EZB, mit einer restriktiven Zinspolitik einer solchen Inflationsursache wirksam begegnen kann? Auch hier ist die Antwort einfach, sie lautet: Nein, natürlich nicht. Hebt die EZB ihren Zinssatz für die Hauptrefinanzierungsgeschäfte an, was sie eben erst getan hat (siehe hier), geschehen zwei Dinge: Erstens verteuert sich der Fremdkapitalzins auf dem Kapitalmarkt, wovon im Ergebnis die Unternehmen und die privaten Haushalte gleichermaßen betroffen sind. Und zweitens verteuert sich der kalkulatorische Eigenkapitalzins, was die Unternehmen ganz alleine betrifft. Wenn die Kapitalkosten aber künftig steigen, weil die EZB den Leitzins angehoben hat, und vermutlich im Herbst/Winter noch mindestens ein weiteres Mal anheben wird, hat das nicht etwa eine dämpfende Wirkung auf die Preisentwicklung an den Rohstoffmärkten wohl aber eine dämpfende Wirkung auf die Investitionsneigung der Unternehmen. Die werden sich nämlich mit Blick auf die gegenwärtige Stagflation bei den Ersatz- und Erweiterungsinvestitionen eher zurückhalten. Woher aber soll dann das Wirtschaftswachstum kommen, das so bitter nötig wäre, um die Stagnation zu überwinden? Von den Konsumenten jedenfalls kann es nicht kommen, denn immer teurer werdende Konsumentenkredite wirken sich auch dämpfend auf die Nachfrage aus. Beim kreditfinanzierten Konsum werden sich die Konsumenten daher zurückhalten. Unternehmen, die nicht investieren und Konsumenten, die sich beim Konsum zurückhalten, sind genau die Zutaten, die eine wirtschaftliche Rezession äußerst wahrscheinlich machen. Und eine solche hat das Kieler Institut für Weltwirtschaft auch für Deutschland prognostiziert (siehe hier). Dort ist man allerdings optimistischer, als bei uns und rechnet mit der Rezession erst im Jahre 2023, also nächstes Jahr. Warten wir es ab.
Unzählige mittelständische Unternehmen haben nach zwei Jahren selbstzerstörerischer Coronapolitik eine sehr niedrige Liquidität und zu allem Übel auch noch eine viel zu hohe Fremdkapitalquote.
Steigende Kapitalkosten bringen jedoch noch einen weiteren Effekt mit sich, der bisher noch gar nicht zur Sprache gekommen ist und der sich auch nicht dämpfend auf die Preise auf den Rohstoffmärkten auswirkt. Unzählige mittelständische Unternehmen haben nach zwei Jahren selbstzerstörerischer Coronapolitik eine sehr niedrige Liquidität und zu allem Übel auch noch eine viel zu hohe Fremdkapitalquote. Fremdkapital kostet bekanntlich nicht nur Zinsen, es muss auch getilgt werden. Steigende Kapitalkosten infolge einer restriktiven Zinspolitik der Notenbank verteuern bei Kreditverträgen mit variabler Verzinsung aber die Zinskosten der Schuldner. Mit anderen Worten, tausende und abertausende mittelständische Unternehmen werden in naher Zukunft nicht nur mit steigenden Einkaufspreisen und einer Konsumzurückhaltung zu kämpfen haben, was im Ergebnis Umsatzausfälle bedeutet, sondern auf sie werden obendrein auch noch steigende Zinskosten zukommen. Insolvenzen trotz ansonsten voller Auftragsbücher sind deshalb ein Szenario, dessen Eintrittswahrscheinlichkeit in Deutschland von Tag zu Tag steigt, auch wenn sich das der Bundeswirtschaftsminister der viertgrößten Volkswirtschaft in der Welt derzeit nicht vorstellen kann (siehe hier).
Die Ursache der gegenwärtigen Inflation ist nicht die Geldmenge. Wenn die amtierende Bundesregierung diesen Fakt nicht alsbald akzeptiert und danach handelt, das heißt sowohl ihre bisherige Energiepolitik aufgibt wie auch ihre bisherige Sanktionspolitik gegenüber Russland, wenn das Kabinett Scholz nicht endlich umschwenkt und in Deutschland neue Atomkraftwerke baut, anstatt die letzten hierzulande noch laufenden Reaktoren vom Netz zu nehmen und wenn obendrein die Pipeline »Nord Stream 2« nicht endlich in Betrieb genommen wird, steht uns bald schon eine galoppierende statt eine trabende Inflation ins Haus. Und auch daran wird die Geldmenge nicht schuld sein.
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