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AutorenbildMarko Thomas Scholz

Israel hat kein Recht auf Vorherrschaft gegenüber Palästina

Das Recht auf Selbstverteidigung im Falle eines Angriffs, ein Recht, das jedem Staat zusteht, ist kein Recht auf Verteidigung der eigenen Vorherrschaft gegenüber anderen Staaten.



Wer angegriffen wird, hat das Recht sich zu verteidigen. Dieser Rechtsgrundsatz ist international, er gilt auf der ganzen Welt und er schließt die Tötung des Angreifers grundsätzlich mit ein. Dieses international anerkannte Selbstverteidigungsrecht, das nach Art. 51 UN-Charta auch für Staaten gilt, kann jedoch nicht uminterpretiert werden, bspw. in ein Recht auf Verteidigung der eigenen Vormachtstellung oder Vorherrschaft gegenüber anderen Staaten. Anders gesagt, ein Staat, der von außen angegriffen wird, hat das Recht den Angriff mit militärischen Mitteln abzuwehren. Wird der Aggressor im Rahmen der Abwehr getötet, ist dieser Tod vom Völkerrecht gedeckt. Ganz anders verhält es sich bei einem Staat, der seinerseits als Aggressor auftritt, indem er die Bevölkerung eines anderen Staates mit militärischer Gewalt unterdrückt und die Menschen dort ihrer Menschenrechte beraubt, einem Aggressorstaat, der durch seine siedlerkolonialistische Politik, seinen staatlich gelenkten Rassismus und seine menschenverachtenden Repressionen eine legale und legitime militärische Abwehrreaktion des anderen Staates provoziert. In diesem Fall steht das Selbstverteidigungsrecht dem anderen Staat und seiner unterdrückten Bevölkerung zu. Und selbstverständlich ist es auch in diesem Fall vom Völkerrecht gedeckt, wenn die legale und legitime Abwehrreaktion des unterdrückten Staates dazu führt, dass Mitglieder des Aggressorstaates im Rahmen der Abwehr getötet werden.


When you say: »Israel has the right to defend itself.«, what you're really saying is: »They have the right to defend their supremacy.« (Shahid Bolsen)

Mit Blick auf den Raketenbeschuss Israels vom 7. Oktober 2023 durch die Hamas, bei welchem unschuldige israelische Zivilisten getötet wurden, heißt das ganz konkret: Israel hat fraglos ein vom Völkerrecht gedecktes Recht zur Selbstverteidigung und dieses Recht schließt die Tötung sämtlicher Angreifer auf der palästinensischen Seite (Hamas-Kämpfer) grundsätzlich mit ein. Aber genau das ist der Punkt. Vom Selbstverteidigungsrecht im Rahmen der Abwehr gedeckt ist nur die Tötung der Hamas-Kämpfer, nicht die Tötung Unschuldiger, nicht die Tötung palästinensischer Zivilisten, die an dem besagten Raketenbeschuss weder aktiv noch passiv beteiligt waren. Unschuldige Kinder, Mütter, Väter, alte und gebrechliche Menschen als Kollateralschaden sind in keiner Weise vom Völkerrecht gedeckt. Und zwar auch dann nicht, wenn dem Raketenbeschuss durch die Hamas unschuldige israelische Kinder, Mütter, Väter, alte und gebrechliche Menschen zum Opfer gefallen sind. Das Prinzip »Auge um Auge, Zahn um Zahn« ist definitiv kein völkerrechtliches Prinzip und im Übrigen auch kein biblisches. Und wer dies falsch in Erinnerung hat, dem sei angeraten im Neuen Testament bei Mt. 5, 38 nachzulesen. Dort heißt es: »Ihr wisst, dass den Vorfahren auch gesagt wurde: 'Auge um Auge, Zahn um Zahn!' Doch ich sage euch: Leistet keine Gegenwehr, wenn man euch Böses antut!«. Noch trefflicher—und zudem weniger religiös—, sind die Worte Mahatma Gandhi's hierzu: »Auge um Auge führt nur dazu, dass die Welt erblindet!«



Es ist an dieser Stelle die Frage aufzuwerfen, ob Israel die palästinensische Bevölkerung mit Gewalt unterdrückt. Mit anderen Worten, es ist die Frage aufzuwerfen, ob Israel seinerseits als Aggressor gegenüber den Palästinensern und gegenüber Palästina auftritt. Es ist die Frage aufzuwerfen, ob Israel für sich in Anspruch nimmt, eine Vormachtstellung gegenüber den Palästinensern und gegenüber Palästina innezuhaben und diese auch in Zukunft weiter auszuüben. Und diese Frage ist mit JA zu beantworten. Ja, Israel unterdrückt seit jeher die palästinensische Bevölkerung mit Gewalt. Ja, Israel tritt seit jeher als Aggressor gegenüber den Palästinensern und gegenüber Palästina auf. Ja, Israel nimmt seit jeher für sich in Anspruch eine Vormachtstellung im Nahen Osten innezuhaben und ja, Israel beabsichtigt, diese Vormachtstellung in der Region auch weiterhin auszuüben. Jeder, der dieses Faktum leugnet, sei aufgerufen, mit eigenen Worten die israelische Okkupation im Gazastreifen und in der Westbank zu beschreiben.


»And don't try to tell me, that Gaza is not occupied.« (Shahid Bolsen)

Mit Blick auf die 6m hohe Sperranlage, die den Gazastreifen vollständig umschließt, vergleichbar mit einer Mauer, sagte der Nahost-Experte Shahid Bolsen erst kürzlich: »... versuchen Sie nicht, mir zu sagen, dass Gaza nicht besetzt ist. Israel kontrolliert die Grenzen. Sie kontrollieren den Zugang zum Meer. Sie kontrollieren den Luftraum. Sie entscheiden, wie viel Nahrung sie überhaupt bekommen können. Wie viel Wasser. Ob sie Treibstoff haben können. Ob sie in ihren eigenen Häusern überhaupt Licht anmachen können. Israel entscheidet über all das. Sie entscheiden, ob sie Internetzugang haben oder nicht. Ich weiß nicht, wie viel besetzter man noch sein kann. Es ist so besetzt wie ein Konzentrationslager.«


Tatsächlich ist der Gazastreifen komplett eingezäunt und—gemessen an der Fläche internationaler Großstädte—, winzig. Der Länge nach misst er gerade einmal 41 Kilometer bzw. der Breite nach zwischen 6 und 12 Kilometer. Seine Fläche entspricht in etwa 365 Quadratkilometer. Das ist in etwa vergleichbar mit der Fläche der Stadt Templin in der brandenburgischen Uckermark. Es gibt gerade einmal drei Übergänge, zwei nach Israel und einen nach Ägypten, und alle drei sind schwerbewacht. Den Gazastreifen unkontrolliert zu verlassen ist sozusagen unmöglich. Die Palästinenser sind dort de facto eingekesselt. Sogar der Meereszugang wird von Israel kontrolliert. Die Bevölkerungszahl ist hoch. Im Gazastreifen leben ca. 2,1 Millionen Menschen, also rund 5.750 Menschen pro Quadratkilometer. Das ist vergleichbar mit der Bevölkerungsdichte im chinesischen Wuhan. Innerhalb Deutschlands gilt Berlin als die am dichtesten besiedelte Stadt und selbst dort leben auf einem Quadratkilometer »nur« circa 4.100 Menschen, das sind immerhin 1.650 Menschen weniger als im Gazastreifen. Die Armut dort ist extrem hoch. Wirtschaftliche Entwicklung und Wohlstand gibt es nicht und sind auch nicht in Aussicht. Die Palästinenser im Gazastreifen leben in Armut, dicht an dicht, ohne ausreichende medizinische Versorgung, eingezäunt und ohne Hoffnung. Der Gazastreifen ist im Grunde kein souveränes, eigenständiges Land, es ist ein Ghetto. Und die Wächter dieses Ghettos sind die Israelis.



Im Westjordanland (Westbank) sieht es, wegen der völkerrechtswidrigen Siedlungspolitik des Staates Israel nicht wesentlich anders aus für die Palästinenser. Auch dort übt Israel de facto eine Vorherrschaft gegenüber Palästina aus. Während Israelis erlaubt wird im Westjordanland zu bauen, werden Palästinenser aus ihren Häusern vertrieben und im Nachgang von den Siedlungsbehörden behandelt, als bewegten sie sich innerhalb der Westbank in einem rechtsfreien Raum.


»Israel has every right to defend itself? But the Palestinians don't?« (Ahmed Shihab-Eldin)

Der Journalist und Blogger Ahmed Shihab-Eldin warf angesichts der jüngsten Entwicklungen im Nahen und Mittleren Osten die Fragen auf: »Israel has every right to defend itself? But the Palestinians don't?«, was auf Deutsch in etwa soviel heißt wie: »Israel hat jedes Recht sich zu verteidigen? Aber die Palästinenser nicht?« Gute Fragen. Sehr gute Fragen. Denn völkerrechtlich ist die juristische Lage eindeutig und zwar so eindeutig, dass es keiner, wie auch immer gearteten, Debatte bedarf: Israel hat im Nahen Osten kein Recht auf Vorherrschaft gegenüber Palästina. Punkt!



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