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AutorenbildMarko Thomas Scholz

Literaturtipp: Die ethnische Säuberung Palästinas

Der israelische Historiker Ilan Pappe, Befürworter der »Einstaatenlösung«, gibt uns einen schonungslosen Blick auf die Gründungszeit Israels und die Vertreibung der Palästinenser.


Ilan Pappes "Die ethnische Säuberung Palästinas" ist ein kontroverses und intensiv diskutiertes Werk, das die Gründungszeit des Staates Israel und den Nahostkonflikt in einem radikal anderen Licht betrachtet. Pappe, ein israelischer Historiker und Vertreter der sogenannten "Neuen Historiker", stellt die Vertreibung von rund 700.000 Palästinensern im Jahr 1948 nicht als unglückliche Begleiterscheinung eines Unabhängigkeitskrieges dar, sondern als gezielte, geplante und systematisch umgesetzte ethnische Säuberung. Diese Deutung stellt das Buch in einen fundamentalen Gegensatz zur etablierten israelischen Geschichtsschreibung und zur offiziellen Erzählung der Staatsgründung Israels.


Pappe stützt seine Argumentation auf eine Vielzahl an Quellen, darunter bislang kaum beachtete oder nur schwer zugängliche Dokumente aus Militär- und Regierungsarchiven. Er zeichnet das Bild eines detaillierten Plans, den die israelische Führungselite unter David Ben-Gurion im Rahmen der sogenannten Plan Dalet entwickelt und umgesetzt habe. Laut Pappe zielte dieser Plan darauf ab, die palästinensische Bevölkerung systematisch aus strategisch wichtigen Gebieten zu vertreiben, um Platz für den neuen Staat Israel zu schaffen und dessen jüdische Mehrheitsbevölkerung sicherzustellen. In akribischer Detailarbeit beschreibt er zahlreiche Massaker, Vertreibungen und die Zerstörung ganzer Dörfer, die seiner Ansicht nach weniger spontane Kriegshandlungen als bewusste Maßnahmen waren.


Zentral in Pappes Werk ist die These, dass die systematische Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung nicht als ein Ergebnis des Krieges oder als „Fluchtbewegung“ zu verstehen ist, sondern als zielgerichtete und notwendige Strategie der frühen israelischen Staatsführung. Damit widerspricht Pappe der „Unvermeidlichkeitsthese“ vieler traditioneller israelischer Historiker, die argumentieren, dass die Vertreibungen eine unvermeidliche Konsequenz der Kriegsereignisse gewesen seien. Stattdessen bewertet Pappe das Vorgehen der israelischen Kräfte als kalkulierte Gewalt und stellt die moralische und rechtliche Berechtigung der israelischen Unabhängigkeitserzählung radikal infrage.


Das Buch ist gleichermaßen historisch bedeutend und politisch brisant. Pappe wendet sich gegen die Tabuisierung dieser historischen Ereignisse und fordert seine Leser, darunter Israelis und Palästinenser gleichermaßen, auf, sich einer ungeschönten Version der Geschichte zu stellen, um einen realistischen Dialog über den Konflikt zu ermöglichen. Kritiker werfen Pappe jedoch vor, eine einseitige Darstellung zu wählen, die israelische Akteure und politische Zusammenhänge vereinfacht oder verkürzt darstellt. Auch wird ihm vorgehalten, mit der Bezeichnung „ethnische Säuberung“ ein politisch und moralisch schwer belastetes Urteil zu fällen, das die Chancen auf einen Ausgleich weiter erschweren könnte.


Insgesamt ist "Die ethnische Säuberung Palästinas" ein kraftvolles Werk, das Fragen zur Legitimität der Geschichtsschreibung und zu den moralischen Grundlagen des Nahostkonflikts aufwirft. Es ist nicht nur ein herausforderndes Buch, das das etablierte historische Verständnis in Israel und weltweit infrage stellt, sondern auch ein wichtiger Beitrag zur Debatte über Wahrheit und Gerechtigkeit in einem der komplexesten und tragischsten Konflikte der Gegenwart.


Die ethnische Säuberung Palästinas von Ilan Pappe ist auf Deutsch im Jahre 2019 im WESTEND Verlag erschienen und kostet 16,99 €.





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