Alle reden über die EU nach dem Brexit ― doch was wird aus dem Vereinigten Königreich ohne Europa?
Über die Autorin schreibt der PICUS Verlag Wien wörtlich: »Tessa Szyszkowitz, geboren 1967, schreibt seit 2010 aus London u. a. für »profil«, »Cicero«, »Falter«. Davor war die Historikerin als Korrespondentin in Jerusalem, Brüssel und Moskau tätig. Sie war Mitgründerin der proeuropäischen Kampagne #hugabrit, die 2016 für den Europa-Staatspreis des österreichischen Außenministeriums nominiert wurde. Seit 2017 kuratiert sie die Serie »Philoxenia« im Kreisky-Forum in Wien.«
Der Autorin ist ein wirklich großartiges Buch gelungen. Und zwar weil sie es wie niemand sonst versteht, dem Leser gleich zwei Perspektiven aufzuzeigen. Zum einen beschreibt und analysiert Tessa Szyszkowitz ein hochaktuelles politisches Thema, dessen dramaturgischer Höhepunkt weder im Erscheinungszeitpunkt des Buches erreicht war noch gegenwärtig erreicht ist. Momentan jedenfalls scheint tatsächlich noch jede Wendung möglich, mag sie von heute aus betrachtet noch so absurd sein. Zum anderen wird dem Leser bei der Lektüre klar, dass der Brexit ein Ereignis ist, welches die Historiker noch lange, lange beschäftigen wird. Ganz gleich, welche politischen Entscheidungen bis zum Austrittsdatum (29.03.2019) und darüber hinaus noch getroffen werden mögen.
Dieses Buch macht nicht einfach nur neugierig, es mach regelrecht süchtig. Jedes einzelne der insgesamt vierzehn Kapitel zeigt dem Leser einen neuen Aspekt im Brexit-Kosmos auf, den man, selbst als politisch interessierter Mensch, bisweilen entweder gar nicht auf dem Schirm hatte oder aber dessen Bedeutung von Tessa Szyszkowitz noch einmal in ein vollkommen anderes Licht gerückt wird. Beispielsweise erfährt der Leser, dass ein Großteil der Briten und auch des politischen Establishments auf der Insel―selbst im Jahre 2019―noch immer nicht damit begonnen hat, die dunklen Seiten des Empires während der Kolonialzeit aufzuarbeiten. Sei es das Massaker von Amritsar im Jahre 1919, also vor inzwischen genau 100 Jahren, sei es die Verdrängung Indiens als Weltmarktführer bei Baumwollprodukten.
Liam Fox, einen Tory-Politiker, zitiert Szyszkowitz im Buch wörtlich, nachdem dieser im März 2016 öffentlich erklärt hatte: »Das Vereinigte Königreich ist eines der wenigen Länder der Europäischen Union, das seine Geschichte des 20. Jahrhunderts nicht verstecken muss.«. Ihm hält die Autorin einen einzigen Satz von Shashi Tharoor entgegen, den einstigen UN-Vizegeneralsekretär für Information und heutigen Abgeordneten des indischen Nationalkongresses: »Indien hat die industrielle Revolution verpasst, weil Britannien uns unter die Räder geworfen hat.«. Nach diesem Satz muss man als Leser erst einmal innehalten und schlucken.
Wer Lust auf mehr bekommen hat, dem sei die Leseprobe des Verlages empfohlen. Denn spätestens nach diesen Zeilen kommt man um das Buch von Tessa Szyszkowitz schlicht nicht mehr herum.
Irgendwo auf den ersten fünfzig Seiten schreibt die Autorin: »Den Briten steht die Bewältigung ihrer Vergangenheit erst bevor.«. Dieser Satz steht symbolisch für die Brillanz des ganzen Buches. Denn spätestens wenn man Echte Engländer―Britannien und der Brexit komplett gelesen hat, wird einem als »Nicht-Brite« klar, dass das United Kingdom im Augenblick sogar daran scheitert, die eigene Gegenwart zu bewältigen, die bereits eine Sekunde später, also unmittelbar nach dem die verantwortlichen Akteure gescheitert sind, zur Vergangenheit zählt.
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