Kein deutschsprachiger Autor beschäftigt sich so sprachgewaltig und scharfsinnig mit Deutschen, Deppen, Dichtern und Denkern auf dem Egotrip wie Henryk M. Broder.
Über den Autor schreibt die Achgut Edition wörtlich: »Henryk M. Broder, 1946 in Katowice/Polen geboren, arbeitet seit über 60 Jahren an seiner Integration in die deutsche Gesellschaft. Ebenso wie sein ägyptischer Freund Hamed Abdel-Samad rückt auch Broder seinen Migrations-Hintergrund gerne in den Vordergrund. Inzwischen gehört er zu den tragenden Säulen der bunten, toleranten und weltoffenen Berliner Republik. Er plant, bei der kommenden Bundestagswahl mit einer eigenen Liste anzutreten: „Alte Weiße Männer, SUV-Fahrer und Vielflieger“.«
Zunächst fürs Protokoll: Die in unserem Think Tank vernetzten Wissenschaftler haben sich bereits mehrheitlich dazu bereit erklärt, der von Broder noch zu gründenden Liste »Alte Weiße Männer, SUV-Fahrer und Vielflieger« auf diesem Wege ihre uneingeschränkte Solidarität zu bekunden und bei der nächsten Bundestagswahl auch ihre Stimme zu geben. Die bei uns vernetzten Wissenschafterinnen übrigens auch. Schon deshalb wünschen wir dem Autor bei seinem Vorhaben: Gutes Gelingen und Toi, toi, toi. Nun zum Buch: In seiner jüngsten Publikation, sie erscheint gegenwärtig bereits in der dritten Auflage, ist Broder abermals in Höchstform. Schon im Klappentext finden sich Sätze wie diese: »Im Gegensatz zur landläufigen Meinung halte ich Rache für ein legitimes Motiv. Ich habe kein Verständnis für Eltern, die eine Stiftung zugunsten von Flüchtlingen gründen, nachdem ihre Tochter von einem Flüchtling ermordet wurde. So ein moralisches Übermenschentum ist mir verdächtig, vor allem, wenn die Eltern sich auch dagegen verwahren, dass der Tod ihrer Tochter „politisch instrumentalisiert“ wird. Als ob sie es nicht selber tun würden.« Pointen wie diese muss man im Land der Bildungskatastrophe derzeit mit der Lupe suchen. Umso erfreulicher, dass Broder ein nicht enden wollendes Feuerwerk davon abfeuert. Der Autor will sein Buch eigenen Angaben zufolge übrigens nicht als Anleitung zum Handeln verstanden wissen, sondern als Einladung zum Selberdenken und zum Misstrauen gegenüber allen Wegweisern, die sich selber nicht von der Stelle bewegen, und allen Ablasshändlern, die davon leben, dass sie Ängste schüren. Chapeau!
Inhaltlich analysiert Broder die politische Großwetterlage ebenso schonungslos wie die vielen, vielen Skandale und Skandälchen, die im tagespolitischen Geschehen oftmals unbemerkt bleiben. Bewundernswert ist, wie immer, seine messerscharfe Dialektik von der man nie so recht weiß, ob sie dem Autor quasi in die Wiege gelegt worden war, ob er sie also sozusagen von Anfang an mitbrachte oder ob er sich selbige im Laufe seiner beeindruckenden Karriere hart erarbeiten musste. Es spricht einiges dafür, dass ersteres zutrifft. Über den ehemaligen Justiz- und heutigen Außenminister, Heiko Maas, der in seiner politischen Laufbahn nicht nur das Amt mehrfach gewechselt hatte, sondern seit seinem Aufstieg in die Bundespolitik sogar den Wohnort wechseln musste, und zwar von Saarland-Herzegowina nach Berlin, und der––das sei noch am Rande erwähnt––, seinerzeit wegen Auschwitz in die SPD eintrat, schreibt Broder: »Wenn es ein Zeichen von Stärke ist, sich der eigenen Schwächen nicht bewusst zu sein, dann ist Maas ein ausgesprochen starker Politiker.« Mit diesem Satz erreicht Broder zweifelsohne die Flughöhe eines Wolfgang Neuss oder eines Werner Finck.
Natürlich wirft Broder auch einen Blick nach Brüssel. Und natürlich gebiert auch dieser Blick ein Bonmot der Extraklasse und zwar in Form dieses Frage-Antwort-Spiels: »Worum geht es also bei der EU? Um den Zugang zu Ressourcen. Genau genommen um fünf Jobs, die vergeben werden: Kommissionspräsident, Präsident des Rates, Außenbeauftragter, Präsident der Europäischen Zentralbank und Präsident des Europäischen Parlaments. Im Ernst, das ist schon alles.« Mehr didaktische Reduktion eines bürokratischen Monsters im politischen Nirwana dürfte aktuell bei keinem anderen Autor für Geld zu bekommen sein. Ursula von der Leyens Absichtserklärung, klimaneutrales Terraforming experimentell an Europa testen zu wollen, kommentiert Broder übrigens nicht minder brillant: »Sobald sich die EU auf eine gemeinsame Sommerzeit geeinigt hat, wird sie das Projekt "gleiches Klima für alle" auf den Weg bringen. Der erste klimaneutrale Kontinent der Welt und in der Geschichte der Menschheit! Die Fortsetzung der Schöpfung unter den Bedingungen der Klimagerechtigkeit. Halleluja!« Eine von Broders europapolitischen Quintessenzen ist schließlich diese: »Politik, vor allem "Europapolitik", ist doch etwas für Bruchpiloten und Versager wie Niels Annen, Reinhard Bütikofer oder Ska Keller. [...] Kann sich jemand vorstellen, was aus dem Berufseuropäer Elmar Brok geworden wäre, hätte er nicht die Gelegenheit genutzt, 40 Jahre lang einen Sitz im EU-Parlament zu okkupieren?«
Leser, die jetzt Lust auf mehr bekommen haben, sei, vor dem Gang in die nächste Buchhandlung ihres Vertrauens, als Appetizer noch die Leseprobe des Verlages und/oder das unten verlinkte Video empfohlen, in welchem der Autor höchstpersönlich einige Kostproben aus seinem Buch zum Besten gibt. »Wer, Wenn Nicht Ich« von Henryk M. Broder ist in der Achgut Edition erschienen, umfasst 204 Seiten und kostet 24,00 €.
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