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AutorenbildMarko Thomas Scholz

Fahrverbote sind wie eine Pigou-Steuer mit unendlich hohem Steuersatz

Aktualisiert: 7. Feb. 2019

In manchen Innenstädten gelten sie bereits, in manchen treten sie demnächst in Kraft und für viele Innenstädte stehen sie als konkrete Bedrohung im Raum: Fahrverbote. Finanzwissenschaftlich betrachtet sind Fahrverbote nichts anderes, als eine besondere Lenkungsteuer mit einem Steuersatz der Größenordnung unendlich.



Besitz ist zivilrechtlich betrachtet die tatsächliche Herrschaft einer Person über eine Sache, während Eigentum die juristische Herrschaft einer Person über eine Sache darstellt. Das jedenfalls studieren Erstsemester im Seminar »BGB – Allgemeiner Teil«. Die konkreten Befugnisse eines Eigentümers finden sich in § 903 BGB. Dort heißt es: »Der Eigentümer einer Sache kann, soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen, mit der Sache nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen.«


Seit Innenstädte hierzulande damit begonnen haben Fahrverbote für Diesel-Fahrzeuge zu verhängen, wird der Satzteil »mit der Sache nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen« durch den Satzteil »soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen« relativiert. Und zwar spürbar relativiert. Ein Fahrverbot nämlich hat konkret und unmittelbar zur Folge, dass Diesel-Fahrzeuge im Innenstadtbereich nicht mehr bewegt werden dürfen. Obwohl sie zugelassen sind und über eine gültige TÜV-Plakette verfügen. Bei Missachtung drohen dem Fahrer wegen der begangenen Ordnungswidrigkeit empfindliche Sanktionen.


Der Eigentümer kann mit der Sache nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen.

Wenn eine Gebietskörperschaft einen Eigentümer in der Ausübung seiner Rechte einschränkt, nicht nur marginal, sondern signifikant einschränkt, derart signifikant, dass der bestimmungsgemäße Gebrauch des Eigentums faktisch unmöglich wird, dann hat dieser staatliche Eingriff die gleiche Wirkung, wie eine Lenkungsteuer (Pigou-Steuer) mit unendlich hohem Steuersatz. Viele Autofahrer nehmen Fahrverbote deshalb wie eine interventionspolitische Maßnahme wahr, mit welcher der Staat der Bevölkerung vorschreiben will, welches Antriebssystemen sie zu konsumieren hat.


Eine Welt, in der ein Akteur den Kaufpreis für ein Diesel-Fahrzeug bezahlt und de jure Eigentümer desselben wird, ohne es dann aber im Innenstadtbereich bestimmungsgemäß verwenden zu dürfen, ist finanzwissenschaftlich betrachtet äquivalent zu einer Welt, in welcher der Staat den Gleichgewichtspreis am Markt durch eine Pigou-Steuer auf Diesel-Fahrzeuge künstlich erhöht. Vorliegend sogar unendlich erhöht, so dass der Kauf in Ermangelung eines verfügbaren Budgets gar nicht erst stattfinden kann. In einer solchen Welt wäre das zuletzt skizzierte Szenario gegenüber dem zuerst skizzierten wenigstens noch vorzuziehen, weil es die Liquidität des Käufers schont. Wem der Marktzugang zu einem Diesel-Fahrzeug infolge einer konfiskatorischen Lenkungsteuer verschlossen ist, dem steht wenigstens noch die Option offen, ein mit Normalbenzin betriebenes Fahrzeug zu erwerben. Wer aber bereits Eigentümer eines Diesel-Fahrzeugs geworden ist, wird durch ein Innenstadtfahrverbot faktisch enteignet. Er hat gar nichts mehr. Er ist nicht länger mobil. Und

er hat kein Geld mehr, um sich ein anderes Auto zu kaufen. Schließlich hat er seine Ersparnisse bereits verausgabt, um Eigentum an einem Gut zu erwerben, das er nicht länger bestimmungsgemäß verwenden darf. Auch ist eine Umwandlung von Sachkapital in Finanzkapital nicht ohne wertverlust möglich, weil sich Diesel-Fahrverbote infolge des Nachfrageschocks und dem damit einhergehenden Angebotsüberhang negativ auf den Güterpreis auswirken.


Das Wohl der Allgemeinheit


Zu den Grundrechten einer jeden Bürgerin und eines jeden Bürgers gehört u. a. Art. 14 Abs. 2 GG. Dort heißt es: »Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.« Im Falle eines Fahrverbots ist es aber nicht der Gebrauch des Eigentums, sondern gerade die Abwesenheit desselben, mit welchem dem Wohl der Allgemeinheit gedient werden soll. Wie aber ist es mit einer auf Eigentum basierten, kapitalistischen Wirtschaftsordnung vereinbar, dass der Staat derart weitreichend und folgenschwer in privates Eigentum eingreift? Sind dies erste Signale eines in Auflösung begriffenen Rechtsstaats? Oder markiert ein solcher staatlicher Eingriff gar das Ende der Marktwirtschaft?


Zur Rechtsstaatlichkeit: Art. 14 Abs. 3 GG besagt eindeutig: »Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt.« Fahrverbote können vorliegend ausschließlich unter Verweis auf § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Straßenverkehrsordnung (StVO) verhängt werden. Eine Entschädigung sieht die StVO jedoch nicht vor. Folglich ist eine Enteignung hiernach verfassungsrechtlich nicht abgedeckt. Und genau besehen ist der Enteignungstatbestand vorliegend auch nicht erfüllt. Schließlich steht es jedem nach wie vor frei, außerhalb einer Verbotszone jede öffentliche Straße ohne Einschränkung zu befahren. Wenn aber zwei Rechtsgüter miteinander kollidieren, obliegt es gerade dem Staat exakt diese beiden Güter gegeneinander abzuwägen, um final zu bestimmen, welches von beiden schwerer wiegt und deshalb gegenüber dem anderen zu präferieren ist. Und vorliegend hat der Gesetzgeber entschieden, dass die Gesundheit der Menschen schwerer wiegt, als die schrankenlose Ausübung bestimmter Eigentumsrechte.


Zur Marktwirtschaft: Ja, die Akteure am Markt sind infolge der Fahrverbote kurzfristig in eine Art Schockstarre verfallen. Und ja, im Zeitalter des Freihandels und der Globalisierung, sprich in einem Zeitalter eines sich nahezu unaufhaltsam Bahn brechenden neoliberalen Marktparadigmas, wird ein regulatorischer Eingriff dieses Kalibers wie eine Vollbremsung bei Tempo 200 km/h wahrgenommen. Aber ein Ende der Marktwirtschaft ist deswegen auf gar keinen Fall zu konstatieren. Paradigmatisch stellen die Fahrverbote eher so etwas wie ein Comeback des Ordoliberalismus dar. Also das Sichtbarwerden eines Staates, der einst im Sinne einer »Marktordnung« klare Regeln für die Akteure festlegt und sich dann in seiner Funktion als Regulierer wieder zurück gezogen hat.


Der eigentliche Graben, ein ziemlich tiefer übrigens, der durch die Fahrverbote entstanden ist, ist politisch entstanden. Und es steht zu befürchten, dass in den Präsidien der Berliner Regierungsparteien (CDU/CSU, SPD) bis heute nicht wirklich wahrgenommen worden ist, wo dieser Graben tatsächlich verläuft. Er verläuft nämlich nicht zwischen den verschiedenen Parlamentsfraktionen, sondern vielmehr zwischen dem Parlament als Ganzes auf der einen und der Bevölkerung auf der anderen Seite.


Auf die berühmte Stammtischfrage: »Haben die eigentlich noch alle Tassen im Schrank?«, mit »die« sind die Mitglieder des Parlaments als gesetzgebendes Organ gemeint, antwortet der Stammtisch derzeit wie aus der Pistole geschossen: »Die haben noch nicht einmal einen Schrank, in den Sie ihre Tassen hinein stellen könnten«. Warum aber sind die Reaktionen in der Bevölkerung auf die Fahrverbote derzeit so heftig? Ein Antwortversuch:


An der Lebenswirklichkeit vorbei


Mobilität war in den letzten Jahren ein Bedürfnis mit zunehmender Bedeutung. Insbesondere induziert durch die Arbeitsmärkte. Tägliches pendeln zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, teilweise sogar über weitere Strecken, ist längst zur Normalität geworden und prägt nicht nur den Arbeitsalltag der oberen Einkommensbezieher bzw. der sog. »Besserverdiener«. Steigende Mieten in diversen Innenstädten seit der rigiden Zins- und Offenmarktpolitik der EZB als Antwort auf die Finanzmarktkrise 2007/2008 und der damit einhergehenden Verdrängung von Mietern mit unteren und mittleren Einkommen an die Stadtränder bzw. in die ländlichen Räume haben das Mobilitätsbedürfnis zusätzlich erhöht. Die seit Jahren nur langsam wachsenden, teilweise gar sinkenden Reallöhne hatten die Marktposition des Dieselmotors daher umso mehr gefestigt. Ganz einfach wegen seines im Vergleich zum Benziner geringeren Verbrauchs. Noch Anfang 2018 lag der Bestand an Diesel-Pkw hierzulande bei insgesamt 15,2 Mio. Fahrzeugen―immerhin 33%. Und das trotz einer relativ hohen Inflation speziell beim Dieselkraftstoff. Das in etwa war―grob skizziert―die Situation, als die ersten Fahrverbote aufkamen. Angeordnet wurden sie von den zuständigen Verwaltungsgerichten auf der Grundlage gesetzlich festgelegter Grenzwerte. Gegenwärtig findet eine mitunter grotesk geführte Debatte darüber statt, ob der Gesetzgeber eben genau jene Grenzwerte nicht an der Lebenswirklichkeit vorbei determiniert habe.


Ergänzen muss man noch, dass den Fahrverboten hierzulande ein Skandal im Automobilsektor vorausgegangen war, der in seiner kriminellen Energie und seiner betrügerischen Zielstrebigkeit einzigartig gewesen ist, es vermutlich auf sehr, sehr lange Zeit―eventuell sogar für immer―bleiben wird, und zu allem Übel auch noch unmittelbar in Verbindung gebracht werden konnte mit den Voraussetzungen für ein zu verhängendes Fahrverbot, nämlich grenzwertwidrige Abgase. Gemeint ist der Diesel-Skandal. Die Manipulation von Abgaswerten beim Wolfsburger Autobauer Volkswagen und der insoweit an jedem einzelnen VW-Kunden verübte Betrug hatte in der Bevölkerung von einem auf den anderen Tag zu einem massvien und bis heute fortdauernden Vertrauensverlust geführt. Wobei der Vertrauensverlust im Grunde gleich zwei Väter hatte. Den VW-Konzern auf der einen und den Staat auf der anderen Seite. Den Autobauer machten die VW-Kunden zu Recht verantwortlich dafür, dass er sie betrogen hatte. Und den Staat machten sie ebenfalls zu Recht dafür verantwortlich, dass VW den Betrug vorbei am Kraftfahrtbundesamt (KBA)―ein dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur unterstelltes Aufsichts- und Kontrollorgan zur Gewährleistung der Produktsicherheit nach dem Produktsicherheitsgesetz (ProdSG)―begehen konnte.


Die assoziative Erkenntnis der Dieseleigentümer im Zusammenhang mit Fahrverboten lässt sich deshalb wie folgt zusammenfassen: Ihre eigenen Eigentumsrechte sind offenbar weniger wichtig als


(a) die Gesundheit der (besser verdienenden/vermögenderen) Anwohner in den Innenstädten; (b) die Eigentumsrechte der VW-Aktionäre;

(c) die Eigentumsrechte der VW-Manager.


Geht man von der Annahme aus, dass zum Eigentum jedes einzelnen, von den Fahrverboten Betroffenen, nicht mehr als ein einziger Diesel-Pkw gehört, hat sich die Bundesregierung mit ihrer prohibitiven Lenkungspolitik mal eben aus dem Nichts heraus 15,2 Mio. Regierungsgegner geschaffen. Gemessen an den insgesamt 61,5 Mio. Wahlberechtigten (Stand: 2017) sind das an der Wahlurne schlappe 25%. Wie viele davon tatsächlich den Regierungsparteien bei der Bundestagswahl 2017 das Votum versagt haben, ist bedauerlicherweise in keine Statistik eingegangen.


Der Bundesregierung sei deshalb geraten, sich sehr gut zu überlegen, ob sie im Bundestagswahlkampf 2021 das Thema »City-Maut«, also die Erhebung einer Lenkungsteuer auf sämtliche Fahrzeuge im Innenstadtbereich, überhaupt auf die Agenda setzt. Wie jede steuerpolitische Restriktion, bewirkt auch jede prohibitiv induzierte Lenkungspolitik Ausweich- bzw. Vermeidungsreaktionen auf Seiten der Rechtsunterworfenen. Das liegt daran, dass Verbots- und Sanktionsregeln in der Bevölkerung als Bevormundung wahrgenommen werden. Wohingegen stattdessen eine anreizinduzierte Lenkungspolitik als Belohnung für ein bestimmtes Wohlverhalten rezipiert wird.


Fazit: Auf die politische Agenda der Parteien gehört nicht die Bestrafung eines Drittels der Auto fahrenden Bevölkerung. Wenn in dieser Sache jemand zu bestrafen ist, dann jene, die eine Straftat begangen haben. Auf die politische Agenda der Parteien gehört die Belohnung derer, die mobil und flexibel bleiben während sie ihren Jobs nachgehen und trotzdem dazu beitragen, dass die Luft in unseren Städten besser, zumindest aber nicht schlechter wird. Mit einer solchen, der Gesellschaft zugewandten Verkehrspolitik, gewinnt man Vertrauen zurück. Und nur mit der Rückgewinnung von Vertrauen, lässt sich auf Dauer auch der Wähler wieder zurück gewinnen.


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